Männer in der Krise

Von Generation WOW05.05.2020

Abstand halten an der Kasse, im Haushalt helfen, sich mit den Kindern beschäftigen – dass viele Männer in der Krise endlich mitanpacken, findet MEINS-Autorin Angi Brinkmann, 53, richtig gut.

Die von mir am meisten verachteten Protagonisten im Supermarkt waren bisher Kampf-Rentner. So nenne ich ältere Männer, die sich, während ich meinen Einkauf aufs Band lege, schon mal hektisch über mich beugen, um das Trennungskeilchen zu erhangeln und ihr Zeug hinter meine Sachen zu pressen. Blöderweise habe ich da meist noch den halben Wagen voll. In 30 Prozent der Fälle genügt mein Blick. Mit dem kannste ganze Kühltheken vereisen. Wenn ich dann noch deren Räder in die Hacken bekomme, kann es laut werden. Meine These: Für Erziehung ist ein Mann selbst mit 70+ nicht zu alt, das gilt ebenso fürs Kofferband.

In der Krise erweitern Männer endlich ihren Horizont

Und nu? Stehen sie alle fein in Reih und Glied, als wäre es nie anders gewesen. Aber das neue Mitmenscheln geht noch viel großartigere Wege: Da sammeln unterforderte Mutti-Kindertaxi-Gruppen via WhatsApp Zigtausende für den Erhalt von Tierparks. Hunderte Studenten, die nicht an ihre Unis können, bieten via www.coronamami.de ehrenamtlich ihre Betreuungs-Dienste für den Nachwuchs von Krankenschwestern und Pflegerinnen an. Und im saarländischen Wadgassen fährt ein ehemals ausgebuchter Busunternehmer jetzt Essen für Senioren aus und möchte dauerhaft dabei bleiben. Geht doch! Wie oft haben wir Frauen uns gewünscht, diese unpersönliche Welt um uns herum möge netter werden. Jetzt hat dieses Virus doch etwas Gutes: Kontaktpflege und Kommunikation haben wieder an Bedeutung gewonnen. Wunderbar!

Der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx, 65, sagt es so: „Wir vergesellschaftlichen uns, wir vereinen uns und lernen sogar Dinge wieder, die wir längst vergessen hatten: miteinander kochen, spielen, reden …“ So ist es! Meine männlichen Nachbarn, sonst nie zu sehen, weil in irgendwelchen „Immer unterwegs“-Jobs beschäftigt, kärchern jetzt Treppenstufen, backen Brot, joggen mit ihren Kindern und lesen die MEINS ihrer Frauen. Herrlich, zu was Männer in der Lage sind, wenn ihnen im Dauer-Homeoffice Langeweile droht. Das Hineinschnuppern in bislang ferne Lebensecken macht uns alle froh und erweitert unseren Horizont.

Juhu, endlich wieder ein Wir-Gefühl!

Wir alle können aus dieser Utopie unsere ganz persönlichen Rückschlüsse für unseren Lebensweg, unsere Verhaltensweisen und auch für die ureigene Charakterbildung ziehen. Jeder von uns kann sich jetzt, nach den ersten dramatischen Wochen der Horrormeldungen und der Schockstarre, fragen: Wollen wir uns in Zukunft von unseren Ängsten treiben oder von positiven Erlebnissen und Beobachtungen tragen lassen?

Und noch etwas Reinigendes geschieht gerade, worüber ich mich als Fan des Echtlebens abseits sozialer Netzwerke ganz besonders freue: Dieses fanatische Folgen von Bloggern, die Verehrung und Anbetung von Populisten und sogar von verbalen Heckenschützen wird ausgedient haben. Da bin ich gewiss.

Wer bitte braucht die Hasstiraden irgendwelcher Deppen, wenn es uns allen ums nackte Überleben geht? Das Bedürfnis nach fragwürdigen Idolen hat fertig, ebenso das Bestreben nach Abgrenzung und Spaltung. Derlei negatives Denken wird vom Gemeinschaftsgefühl überlagert. Lasst uns das feiern! Lasst uns kuscheln, wenn auch nur mit Worten. Ich geh’ mal einkaufen.

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