Gendergerechte Sprache – ja / nein?

Von Generation WOW22.02.2021

Vielleicht ist es euch auch schon aufgefallen: Seit kurzer Zeit setzen wir im geschriebenen Wort Sternchen.Aber hilft uns eine gendergerechte Sprache wirklich bei der Lösung des Gesamtproblems?

Seit einiger Zeit ist die gendergerechte Sprache in aller Munde. Seitdem werden in vielen Bereichen fleißig Sternchen gesetzt, um Wörtern eine gleichberechtigte Bedeutung zu verleihen. Das polarisiert natürlich. Auch in der Redaktion wird heißt diskutiert, ob nun dringend notwendig oder einfach nur nervig. Deshalb wenden heute zwei Redakteurinnen das Wort an euch – und laden zur Diskussion.

„Die Sprache hat großen Einfluss auf unser Denken“

Sibylle Hettich (53) schreibt: Zurzeit erinnere ich mich oft an das Fräulein Jakobi. Das Fräulein war meine Grundschullehrerin, stand kurz vor der Rente und war ein Neutrum. Damals wurden alle unverheirateten Frauen als Fräulein bezeichnet, was ich komisch fand. Ein Herrlein gab es ja auch nicht. Irgendwann liefen die Frauen dagegen Sturm, und die Regierung verkündete 1972 zu Recht: „Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau (…) Rechnung zu tragen.“ Ich glaube, jetzt sind wir wieder an so einem Punkt.

Aktuelle Studien zeigen: Wir Menschen haben bei den Worten „Ärzte“, „Forscher“, „Experten“ etc. ganz bestimmte Bilder im Kopf. Nämlich männliche. Und diese Bilder nehmen Einfluss auf unser Denken. Wir glauben zwar, dass wir mit der allgemeinen Formulierung „Ärzte“ auch Ärztinnen meinen, aber unser System nimmt das nicht so auf. Wenn wir also wollen, dass alte Rollenbilder verschwinden, dass DAX-Vorständinnen selbstverständlich werden und Frauen und Männer irgendwann gleich viel verdienen, müssen wir mit der Sprache anfangen. Auch ich finde das Sternchen ungewohnt und nicht besonders hübsch. Aber geht es darum? Leider wurde unsere Sprache in der Vergangenheit männlich geprägt – jetzt ist es Zeit nachzubessern! Wir sollten also „Forscherinnen und Forscher“ sagen, wenn wir das so meinen. Und zur Not nehme ich auch „Forscher*innen“ in Kauf. Das ist es mir wert!

„Ein Stern allein schafft leider keine Gerechtigkeit“

Caren Hodel (44) findet: Gleich vorweg, damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein höchst erstrebenswertes Ziel! Nur ich glaube kaum, dass Grammatik ein taugliches Instrument dafür ist und überhastete Sprachreformen automatisch zu mehr Emanzipation führen. Mehr noch: Die wirklich wichtigen Punkte – ungleiche Bezahlung, unfaire Karrierechancen – werden von der ganzen Sprachpingelei in den Hintergrund gedrängt.

Und mal ehrlich: Eine Wortpolizei, die unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Geschlechterdifferenz lenkt, ist doch auch für das Betriebsklima nicht wirklich förderlich, oder? Weil alle sich so mit etwas beschäftigen, das völlig nebensächlich sein sollte. Genauso wie Religion, Herkunft oder Nationalität im besten Fall irrelevant ist, wenn unsere Maxime Akzeptanz von Diversität lautet. Abgesehen davon macht staatlich verordnete Buchstabengymnastik die Sprache zäh und unnatürlich. Texte leben von ihrem Sound und ihrem Rhythmus. „Er/Sie soll seinen/ihren Schüler*innen Wissen vermitteln“ – Hand aufs Herz, wer hat bei all den Strichen und Sternchen noch Lust, weiterzulesen? Chancengerechtigkeit im Alltag zu leben ist wichtiger, als in jedem Satz Bürgerinnen, Leserinnen und Wählerinnen in einem Atemzug mit ihrem männlichen Pendant zu nennen. Die Gleichberechtigung muss endlich in den Köpfen ankommen, nicht nur auf dem Papier!

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