Chattest Du schon – oder lebst Du noch?

Von Generation WOW08.04.2021

„Pling! Pling! Himmel, wo soll ich denn noch überall chatten“, fragt sich MEINS-Autorin Angelika Brinkmann. Statt nach WhatsApp, Social Media und all die anderen lauten Netzwerke sehnt sie sich nach einem einfachen Schnittlauchbrot

„Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich …“ Hat man sofort wieder im Ohr, diesen Kracherhit, oder? Anfang der 90er, gesungen von Lackscheitel Max Raabe, herrlich. Und wie bitter- bestürzend, dass dieser Text rund zwei Jahrzehnte später die echte, eiskalte Wirklich- keit unserer gesellschaftlichen Kommunikation abbildet. Oder besser gesagt: dessen, was von ihr übrig ist. Dabei könnte man genau das gegenteilige Gefühl bekommen, nämlich, dass wir so viel schnattern wie nie zuvor. Stimmt! Nur leider nicht leibhaftig mit Mund, Mimik und Ton, sondern ausschließlich in schriftlichen Zeichenfolgen, mit Daumen hoch oder runter und den unvermeidbaren Emojis. All unsere Emotionen tagtäglich verschluckt in einem einzigen virtuellen Buchstabensalat, einem Miteinander ohne Beieinander.

Das ist von allem einfach viel zu viel!

Kaum eine Woche vergeht, in der mich nicht irgendwer auffordert, die nächste heiße Plattform zu checken. Mich anzumelden, um auch dabei zu sein. Facebook, Instagram, Twitter, überall wird gezwitschert. Tüüüriliii! WhatsApp-Gruppen zum Hundespaziergang, fürs Yoga, den Treppenhausdienst, das Geschenk zu Mamas Achtzigstem und nun auch noch Clubhouse. „Weil da jetzt alle sind“, heißt es, superexklusiv, versteht sich. Wo soll ich denn bitte noch überall chatten? Auf meinem Mobiltelefon klimpern die Benachrichtigungen munter auf den ganzen bunten Apps, das Verlangen nach Statements wird ungeduldiger. Analog dazu steigt der Druck, up to date zu sein, Flagge wie Präsenz zu zeigen und, Gott bewahre, zu vermeiden, dass ich an Wert verliere. Nur wer schreibt, der bleibt – oder wie? Wer im Netz nicht kommentiert, und das schnell, hat nichts zu sagen – nicht wahr? Das ist grotesk! Gleichwohl heizt die Politik diesen Hype der Zwanghaftigkeit eifrig an. Kaum ploppt irgendwo eine Meinungsäußerung auf, twittern zeitgleich die Reaktionen durch die Cloud. Ohne Pausen, Nachdenken, Reflektionen, bloß schnell raus damit, ehe uns einer zuvorkommt – insbesondere, wenn man gar nichts zu sagen hat. Pling, pling, pling …

Pssst, ich sage euch mal was unter uns. Wenn meine Sehnsucht nach Stille so richtig laut wird, schließe ich meine Augen, rieche Schnittlauchbrot und denke an früher. Ich verquassle mich mit Susi auf der Gartenmauer, singe schamlos schiefe Lieder und brülle unserem Nachbarsjungen „Doofmann“ mitten ins Gesicht. Seine Kloppe stecke ich flennend ein, aber ich ducke mich nicht. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Abends darf ich noch kurz die Nachrichten sehen, wenn ich reinquatsche, fliege ich ins Bett, keine Diskussion. Wann wird unsere Kommunikation wieder echt? Ehrlich, authentisch und fair?

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